Pacing - was steckt hinter diesem Konzept?

02.10.2024

Pacing ist eine Strategie, die vor allem im Umgang mit chronischen Erkrankungen oder langanhaltender Erschöpfung angewendet wird. Der Kern des Pacing-Konzepts besteht darin, die verfügbare Energie bewusst und vorausschauend einzuteilen. Menschen, die Pacing nutzen, versuchen, sich nicht zu überlasten, sondern ihre körperlichen und geistigen Ressourcen gleichmäßig über den Tag oder längere Zeiträume zu verteilen. Anstatt sich zu verausgaben und anschließend eine lange Phase der Erholung zu benötigen, sorgt Pacing dafür, dass Belastung und Ruhe in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen.

Entstehung des Pacing-Konzepts

Das Konzept des Pacing entwickelte sich in der Verhaltensmedizin, einem Bereich, der psychologische Ansätze zur Behandlung von körperlichen Beschwerden verwendet. Besonders in der Therapie chronischer Erkrankungen wie dem chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) oder Fibromyalgie hat sich Pacing als wirksame Methode etabliert. Chronische Erkrankungen führen oft dazu, dass Betroffene sich überfordert fühlen, wenn sie ihre Kräfte falsch einschätzen oder ihren Energieverbrauch nicht im Blick haben.

Pacing basiert auf psychologischen Theorien der Selbstregulation. Diese Theorien gehen davon aus, dass Menschen ihre inneren Ressourcen – wie Energie, emotionale Belastbarkeit oder kognitive Fähigkeiten – bewusst steuern können, um ihre langfristige Gesundheit zu fördern. Anstatt über die eigenen Grenzen zu gehen, lernt man, auf die Signale des Körpers zu achten und sie in den Alltag einzubauen.

Wissenschaftliche und psychologische Begründung

Die wissenschaftliche Grundlage von Pacing ist, dass der Körper und der Geist durch wiederholte Überlastung langfristig Schaden nehmen können. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen die körperliche und geistige Energie oft stark eingeschränkt ist, wird durch Pacing versucht, ein gesünderes Gleichgewicht zwischen Aktivität und Erholung zu finden. Studien zu chronischen Erkrankungen zeigen, dass Menschen, die Pacing anwenden, oft eine bessere Lebensqualität und eine höhere Kontrolle über ihre Symptome haben.

Psychologisch gesehen hilft Pacing, das Gefühl von Hilflosigkeit zu reduzieren, das oft mit chronischen Erkrankungen einhergeht. Es gibt den Betroffenen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie ihren Alltag strukturieren und gleichzeitig Rückfälle oder schwere Erschöpfungsphasen vermeiden können.

Unterstützung und Kritik

Unterstützung:
Viele Studien und Erfahrungsberichte belegen, dass Pacing besonders bei Menschen mit chronischen Erkrankungen zu positiven Ergebnissen führen kann. Es reduziert das Risiko, die eigenen Kräfte zu überschätzen, und hilft, ein Gleichgewicht zwischen Aktivität und Erholung zu finden. Pacing gibt den Betroffenen eine gewisse Kontrolle zurück und kann so die Lebensqualität verbessern.

Kritik:
Andererseits gibt es auch Stimmen, die Pacing kritisch betrachten. Einige Therapeut:innen und Forscher:innen argumentieren, dass Pacing in manchen Fällen zu einem zu passiven Lebensstil führen könnte. Sie befürchten, dass Menschen, die Pacing nutzen, möglicherweise zu vorsichtig agieren und ihre Aktivität zu stark einschränken. In der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) wird daher oft ein aktiverer Ansatz betont, bei dem die Betroffenen schrittweise ihre Belastbarkeit erhöhen, anstatt zu sehr auf Schonung zu setzen.

Die Spoon Theory

Die Spoon Theory ist ein populäres Konzept, das eine ähnliche Idee wie Pacing verfolgt, jedoch in einem anderen Rahmen erklärt wird. Entwickelt wurde sie von Christine Miserandino, die selbst an Lupus leidet, um zu verdeutlichen, wie es sich anfühlt, mit einer chronischen Erkrankung zu leben.

In der Spoon Theory steht jeder „Löffel“ als Metapher für eine bestimmte Menge an Energie, die ein Mensch mit chronischer Erschöpfung oder einer anderen Erkrankung zur Verfügung hat. Gesunde Menschen verfügen scheinbar über unbegrenzt viele „Löffel“, während Menschen mit chronischen Krankheiten nur eine begrenzte Anzahl an Löffeln pro Tag haben. Jede Aktivität – ob sie klein oder groß ist – verbraucht einen oder mehrere Löffel. Selbst alltägliche Dinge wie Duschen, Kochen oder der Weg zur Arbeit können schon mehrere Löffel kosten.

Da die Anzahl der Löffel begrenzt ist, müssen Menschen mit chronischen Erkrankungen besonders sorgfältig planen, wie sie diese Löffel einsetzen. Das bedeutet, dass sie möglicherweise bestimmte Aktivitäten auslassen oder priorisieren müssen, um am Ende des Tages noch genug Energie zu haben. Die Spoon Theory verdeutlicht damit anschaulich, warum Betroffene nicht einfach „durchhalten“ oder „sich zusammenreißen“ können – ihre Energie ist physisch und mental begrenzt.

Verbindung zwischen Pacing und Spoon Theory

Pacing und die Spoon Theory basieren beide auf dem Verständnis, dass Menschen mit chronischen Krankheiten oder Erschöpfungszuständen ihre Energie klug einteilen müssen. Der große Unterschied liegt jedoch in der Darstellung und der Zielgruppe: Während Pacing ein eher therapeutisches Konzept ist, das häufig in klinischen oder therapeutischen Kontexten genutzt wird, hat die Spoon Theory eine eher metaphorische Funktion, um die Herausforderungen von chronisch kranken Menschen besser zu vermitteln.

Die Spoon Theory ist besonders in der Selbsthilfe-Community und bei Menschen mit unsichtbaren Krankheiten populär geworden, weil sie eine einfache, aber kraftvolle Möglichkeit bietet, anderen Menschen zu erklären, wie es ist, mit einer chronischen Erkrankung zu leben. Gleichzeitig dient sie auch den Betroffenen selbst als eine Möglichkeit, ihren Alltag und ihre Energieverteilung besser zu visualisieren.

Beide Ansätze tragen dazu bei, das Bewusstsein für chronische Erschöpfung und den Umgang mit begrenzten Ressourcen zu schärfen, und sie betonen die Wichtigkeit von Selbstfürsorge und Selbstmanagement.

Quellen

  1. A scoping review of ‘Pacing’ for management of Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS): lessons learned for the long COVID pandemic | Journal of Translational Medicine

  2. Interdisziplinäres, kollaboratives D-A-CH Konsensus-Statement zur Diagnostik und Behandlung von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom | Wiener klinische Wochenschrift

  3. The relevance of pacing strategies in managing symptoms of post-COVID-19 syndrome | Journal of Translational Medicine

  4. What Is Spoon Theory: Meaning, History, Significance | Verywell Health

  5. Navigating Life with Chronic Illness: The Essence of Spoon Theory | Columbia Pain Management