ADHS & Schlafstörungen

16.10.2024

Schlafprobleme sind für viele neurodivergente Menschen, insbesondere solche mit ADHS, ein allgegenwärtiges Thema. Wissenschaftliche Studien haben inzwischen gezeigt, dass ADHS und Schlafstörungen eng miteinander verbunden sind. Etwa 50-70 % der Menschen mit ADHS berichten von Schlafproblemen, die weit über gelegentliche Schlaflosigkeit hinausgehen. Häufige Schwierigkeiten betreffen das Einschlafen, fragmentierten Schlaf oder einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. Dieser Artikel beleuchtet, wie diese Probleme zusammenhängen, welche Auswirkungen Schlafmangel auf ADHS-Symptome hat und welche Strategien speziell für neurodivergente Menschen hilfreich sein können.

Gibt es einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang?

Ja, zahlreiche Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen ADHS und Schlafproblemen. ADHS-Betroffene leiden häufig unter Schlafstörungen, die sowohl das Einschlafen als auch die Schlafqualität beeinträchtigen. Interessanterweise wirken sich diese Schlafstörungen direkt auf die ADHS-Symptome aus, und umgekehrt: Schlafmangel verschärft Symptome wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität, was zu einer Abwärtsspirale führt, in der schlechter Schlaf die Symptome weiter verschlechtert.

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass neurobiologische Faktoren eine Rolle spielen. Bei Menschen mit ADHS ist der präfrontale Kortex, der für Konzentration und Impulskontrolle zuständig ist, ohnehin weniger aktiv. Schlafmangel verstärkt diese Einschränkungen zusätzlich. Zudem zeigen Messungen des circadianen Rhythmus bei ADHS-Betroffenen oft eine Verschiebung, die den natürlichen Tag-Nacht-Zyklus stört.

Was macht Schlafmangel mit den ADHS-Symptomen?

Schlafmangel beeinflusst die kognitive Leistungsfähigkeit und die emotionale Regulation bei allen Menschen, aber bei ADHS-Betroffenen ist dieser Effekt besonders ausgeprägt. Die Symptome von ADHS – wie Schwierigkeiten bei der Konzentration, Impulsivität und emotionale Überreizung – werden durch Schlafmangel deutlich verstärkt. Dies liegt daran, dass der präfrontale Kortex, der bei ADHS ohnehin beeinträchtigt ist, durch Schlafentzug noch weiter geschwächt wird. Die Folge sind verstärkte Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und eine geringere Stresstoleranz.

Wie lässt sich der Zusammenhang wissenschaftlich nachweisen?

Der Zusammenhang zwischen ADHS und Schlafstörungen wird durch verschiedene wissenschaftliche Methoden belegt. Dazu zählen polysomnographische Untersuchungen im Schlaflabor, bei denen Gehirnströme und Schlafphasen gemessen werden, sowie Aktigraphie-Messungen, die den Schlaf-Wach-Rhythmus über einen längeren Zeitraum analysieren. Diese Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen mit ADHS eine innere Uhr haben, die anders funktioniert, was zu Einschlaf- und Durchschlafproblemen führt. Auch neurobiologische Studien belegen, dass Neurotransmitter wie Dopamin und Melatonin eine Rolle bei der Schlafregulation spielen.

Spezifische Strategien für neurodivergente Menschen

Für neurodivergente Menschen – Menschen mit ADHS, Autismus oder anderen neurologischen Varianten – ist es besonders wichtig, auf ihre speziellen Bedürfnisse beim Thema Schlaf einzugehen.
Hier sind einige gezielte Tipps:

  1. Reizreduktion im Schlafzimmer

    • Nutze Gewichtsdecken, um das Körpergefühl zu beruhigen.
    • Schaffe eine dunkle, ruhige Umgebung mit Schlafmasken oder weißem Rauschen.
    • Achte darauf, dass dein Bett deinen sensorischen Vorlieben entspricht (z.B. weiche oder festere Stoffe).
    1. Gedanken „entleeren“
      • Führe ein Gedankentagebuch, um das Gedankenkarussell zu stoppen.
      • Verwende Apps wie Calm oder Headspace für geführte Meditationen.
      • Stelle dir einen Timer, um vor dem Schlafengehen Gedanken „abzugeben“.
  2. Individuelle Schlafroutine

    • Halte an einer konsistenten, aber flexiblen Schlafroutine fest.
    • Verwende Erinnerungen, um rechtzeitig ans Schlafengehen zu denken.
    • Erstelle feste Rituale, die das Einschlafen erleichtern (z.B. Lesen, heiße Dusche).
  3. Hyperfokus steuern

    • Setze Timer, um abendliche Aktivitäten wie Arbeit oder Hobbys rechtzeitig zu stoppen.
    • Nutze Tools wie Screen-Dimmer, die den Blaulichtanteil deines Bildschirms reduzieren.
  4. Sensory Diet vor dem Schlafen

    • Finde beruhigende sensorische Reize wie leichte Bewegung oder sanfte Massagen.
    • Vermeide laute Geräusche oder grelles Licht vor dem Schlafengehen.
    • Beruhigende Aktivitäten wie Stricken oder Puzzlen können helfen, den Geist zu entspannen.
  5. Medikamente überprüfen

    • Überprüfe mit deinem:r Ärzt:in die Medikation, besonders bei Stimulanzien.
    • Melatonin und Magnesium können in Absprache mit dem Arzt hilfreich sein.
    • Vermeide Koffein am späten Nachmittag.
  6. Anpassung der Schlafenszeit an den natürlichen Rhythmus

    • Passe deinen Schlafplan an deinen natürlichen Zyklus an, anstatt gegen ihn anzukämpfen.
    • Achte darauf, dass du dennoch ausreichend Schlaf bekommst.

Quellen

  1. Cortese, S., Faraone, S. V., Konofal, E., & Lecendreux, M. (2009).
    Sleep in children with attention-deficit/hyperactivity disorder: Meta-analysis of subjective and objective studies.
    In: Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 48(9), 894-908.

  2. Cortese, S., Faraone, S. V., Konofal, E., & Lecendreux, M. (2013).
    Sleep disorders in children with attention-deficit/hyperactivity disorder: A systematic review of the literature.
    In: Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 52(9), 896-915.

  3. Hvolby, A. (2015).
    Associations of sleep disturbance with ADHD: Implications for treatment.
    In: Attention Deficit and Hyperactivity Disorders, 7(1), 1-18.

  4. Bijlenga, D., Vollebregt, M. A., Kooij, J. J. S., & Arns, M. (2019).
    The role of the circadian system in the etiology and pathophysiology of ADHD: Time to redefine ADHD?
    In: Attention Deficit and Hyperactivity Disorders, 11(1), 5-19. .

  5. Kooij, J. J. S., Bijlenga, D., Salerno, L., Jaeschke, R., Bitter, I., Balázs, J., & Ramos-Quiroga, J. A. (2019).
    Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD.
    In: European Psychiatry, 56, 14-34.