Objektpermanenz

10.07.2024

Hast du jemals bemerkt, dass du Dinge oder sogar Menschen vergisst, wenn sie nicht direkt vor dir sind? Das könnte mit Objektpermanenz zu tun haben, einer Fähigkeit, die sich normalerweise im Kindesalter entwickelt. Menschen mit ADHS und ASS haben hierbei besondere Herausforderungen. In meinem neuesten Beitrag erkläre ich, was Objektpermanenz ist, wie sie unsere Beziehungen beeinflusst und gebe praktische Tipps, um den Alltag zu erleichtern.

Objektpermanenz

Objektpermanenz bedeutet, zu verstehen, dass Dinge weiter existieren, auch wenn man sie nicht sieht. Diese Fähigkeit entwickelt sich bei Babys und ist wichtig für unser tägliches Leben und unsere Beziehungen. Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) und ASS (Autismus-Spektrum-Störung) haben dabei besondere Herausforderungen.

Objektpermanenz: Ein wichtiger Entwicklungsschritt

Der Forscher Jean Piaget fand heraus, dass die meisten Kinder mit etwa zwei Jahren Objektpermanenz entwickeln. Bei ADHS und ASS kann diese Entwicklung anders verlaufen und auch im Erwachsenenalter noch Probleme machen und zu Herausforderungen führen.

Herausforderungen bei Autismus

Bei ASS aber auch bei manchen Menschen mit ADHS kann ein Mangel an Objektpermanenz bedeuten, dass Dinge, die aus dem Sichtfeld verschwinden, auch aus dem Bewusstsein verschwinden.
Das könnte zum Beispiel so aussehen:
Der Ketchup steht im Kühlschrank ganz hinten und ist nicht sofort sichtbar.
Ergo, er existiert nicht, es wird ein neuer gekauft. Dieser neue Ketchup wandert irgendwann auch wieder nach hinten und „existiert“ ebenfalls nicht mehr.
Irgendwann gibt es vielleicht 5 Flaschen Ketchup bis es auffällt.

Herausforderungen bei ADHS

Bei Menschen mit ADHS zeigt sich die mangelnde Objektpermanenz auch oft noch in anderen Bereichen.
Beispielsweise brauchen sie oft ständige Erinnerungen, um an Aufgaben oder Dinge (wie zum Beispiel dringende Post und Rechnungen) zu denken.
Wenn du keine visuellen Hinweise hast, vergisst du leicht, was du tun sollst. Ein wichtiges Dokument kann beispielsweise übersehen werden, wenn es nicht auf dem Schreibtisch liegt.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Probleme mit Objektpermanenz bei ADHS und ASS sind oft auf ein schlechtes Arbeitsgedächtnis zurückzuführen. Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, unwichtige Informationen auszublenden und sich auf das Wichtige zu konzentrieren. Das Arbeitsgedächtnis wird ständig durch neue Eindrücke überschrieben, was es schwierig macht, sich an nicht präsente Dinge oder Personen zu erinnern.

Einfluss auf persönliche Beziehungen

Objektpermanenz betrifft aber nicht nur Dinge wie alte Ketchupflaschen, sondern auch Beziehungen soziale Stuationen. Menschen mit ADHS oder ASS denken oft nicht an Freund:innen oder Familie, wenn sie alleine sind, es sei denn, sie werden daran erinnert.
Das liegt nicht an fehlendem Interesse, sondern daran, dass diese Personen nicht aktiv im Bewusstsein sind, wenn sie nicht physisch präsent oder kürzlich erwähnt wurden.
Das kann zu Missverständnissen und dem Gefühl der Vernachlässigung bei Angehörigen führen.
Das könnte sich beispielsweise so zeigen, dass Nachrichten nicht beantwortet werden, weil sie gelesen wurden und nicht sofort beantwortet wurden und dann aus dem Fokus geraten.
Oder dass es schwierig sein kann Freund:innenschaft oder Beziehungen auf Distanz zu gestalten, weil die Menschen im Alltag visuelle keine Präsenz haben.
Gerade diese Herausforderung ist für Betroffene oft besonders Scham besetzt und frustrierend, weil gesellschaftlich gesehen „Loyalität“ ein wichtiger Wert ist und die mangelnde Kommunikation auf Desinteresse zurückgeführt wird und nicht auf eine neuronale Störung.

Praktische Tipps

  • Klare Organisation: Ein gut organisierter Haushalt mit Etiketten, transparenten Behältern und festen Plätzen hilft beim Erinnern.
    Hier könnte es sinnvoll sein auszutesten was gut funktioniert. Braucht es offene Konzepte wie Kleiderstangen und Regale? Oder reichen geschlossene Schränke, aber eventuell mit kleinen Etiketten und Inventarlisten?
    Aus meiner Instagram-Community kam der Hinweis, wie es sich mit visueller Unruhe und diesen Strategien verhält.
    Hier finde ich es wichtig, zu schauen wie eine Kombination aus schönen Wohngefühl und einer praktikablen Lösung aussehen kann. Hilfreich könnte hierbei sein gute Recherche zu betreiben. Gibt es beispielsweise Creator:innen die ästhetische, offene Konzepte zeigen? Was gefällt mir daran? Wie kann ich das für mich umnutzen?
    Wie sichtbar muss es für mich sein, damit ich nichts vergesse?
    Mittlerweile gibt es viele schöne Möglichkeiten zu Sortieren und zu Ordnen.

  • Regelmäßige Kommunikation: Regelmäßige Check-ins oder Erinnerungen helfen, den Kontakt zu halten und Lücken in der Objektpermanenz zu schließen. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit regelmäßige feste Termine zu vereinbaren? Kannst du Freund:innen und Familienmitglieder dafür sensibilisieren und einbinden, damit die Hürde etwas kleiner werden kann?

  • Visuelle Hilfsmittel: Fotos, Kalender und Apps können helfen, an Aufgaben, Ereignisse und Menschen zu erinnern. Stelle Erinnerungen auf deinem Telefon ein, um dich regelmäßig bei deinen Liebsten zu melden. Betrachte diese wichtigen Beziehungen als Aufgaben, die dein Arbeitsgedächtnis unterstützen können. So bleibt der Kontakt zu Freund:innen und Familie konstant.
    Auch für andere Tasks kann dies hilfreich sein.
    Mittlerweile gibt es viele verschiedene Apps die bei der Übersicht und dem Erinnern helfen.

  • Offene Kommunikation: Es ist wichtig, offen über deine Symptome zu sprechen. Erkläre deinem Umfeld, wie Vergesslichkeit deine Beziehungen beeinflussen kann. So wissen sie, dass es nicht persönlich gemeint ist, wenn du dich nicht regelmäßig meldest.

  • Gemeinsame Aktivitäten und Präsenz: Das Engagement in gemeinsamen Aktivitäten, beziehungsweise unsere Präsenz bei Treffen, kann die Bindungen weiter festigen. Indem du diese Aktivitäten zu einem regelmäßigen Bestandteil deines Lebens machst, bleiben deine Beziehungen aktiv in deinem Bewusstsein. Diese Strategien helfen, die Herausforderungen zu meistern und stärkere emotionale Verbindungen aufzubauen.

Ich finde es enorm wichtig zu bedenken, dass es in Ordnung ist, gelegentlich (und kurzzeitig) Menschen „zu vergessen“, die dir wichtig sind.
Vergesslichkeit ist kein Zeichen von Respektlosigkeit oder mangelnder Fürsorge. Beziehungen sollten nicht danach beurteilt werden, wie oft man sich meldet, sondern nach anderen und ganz individuellen Aspekten, die du und deine Freund:innen gemeinsam definieren könnt.
Jede:r hat seine eigenen Herausforderungen, und das Aufrechterhalten von Beziehungen kann manchmal für jede:n schwierig sein.

Schlussfolgerung

Das Verständnis der Objektpermanenz den Alltag verbessern und das eigene Schamgefühl vermindern. Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Herausforderungen nicht absichtlich sind, sondern Teil der kognitiven Prozesse der Betroffenen.
Mit unterstützenden Strategien und offener Kommunikation können Familien sicherstellen, dass sowohl praktische als auch emotionale Bedürfnisse erfüllt werden, wodurch stärkere und verständnisvollere Beziehungen entstehen.

Objektpermanenz ist auch im Erwachsenenalter wichtig, besonders für Menschen mit ADHS und ASS. Während mangelnde Objektpermanenz kein offizielles ADHS-Symptom ist, hängt sie eng mit typischen ADHS-Symptomen wie Vergesslichkeit und Aufmerksamkeitsproblemen zusammen.

Mit Strategien wie visuellen Hinweisen, Erinnerungen und der Automatisierung von Aufgaben kannst du besser mit den Herausforderungen der Objektpermanenz umgehen.