Wie sich Trauma im Alltag zeigen kann
Traumatische Erlebnisse haben weitreichende und oft tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben. Was viele Menschen nicht wissen: Trauma wirkt sich nicht nur auf unsere Psyche aus, sondern auch auf unser tägliches Verhalten, unsere Beziehungen und unsere körperliche Gesundheit. Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Grundlagen von Trauma und zeigt, wie sich traumatische Erfahrungen im Alltag zeigen können.

Was ist Trauma?
Trauma entsteht durch überwältigende Erlebnisse, die unsere emotionale und psychische Belastbarkeit übersteigen. Dazu gehören beispielsweise schwere Unfälle, Gewalt, Missbrauch oder der Verlust eines geliebten Menschen. Es gibt verschiedene Arten von Trauma:
- Akutes Trauma: Ein einzelnes, einschneidendes Ereignis, wie ein Unfall.
- Chronisches Trauma: Wiederkehrende belastende Erfahrungen, wie häusliche Gewalt.
- Komplexes Trauma: Mehrere traumatische Ereignisse über einen längeren Zeitraum.
Wie verändert Trauma unser Gehirn?
Trauma beeinflusst bestimmte Gehirnregionen, insbesondere die Amygdala (verantwortlich für die Erkennung von Gefahren) und den präfrontalen Kortex (zuständig für rationales Denken und Entscheidungsfindung). Diese Veränderungen können dazu führen, dass Menschen in alltäglichen Situationen übermäßig ängstlich oder gestresst reagieren, weil ihr Gehirn Gefahr übermäßig wahrnimmt.
Untersuchungen, wie die von van der Kolk (2014), zeigen, dass chronischer Stress durch Trauma das Gehirn in einen dauerhaften Alarmzustand versetzt. Das führt dazu, dass traumatisierte Menschen oft auf harmlose Situationen mit erhöhter Angst reagieren.
Ein Mensch, der in der Kindheit Gewalt erfahren hat, könnte bei einem lauten Geräusch plötzlich in Panik verfallen, weil sein Gehirn das Geräusch als potenzielle Bedrohung interpretiert.
Trauma und das Nervensystem: Fight, Flight oder Freeze
Unser Körper reagiert auf Bedrohungen durch die Kampf-oder-Flucht-Reaktion (Fight or Flight). Bei traumatisierten Menschen bleibt diese Reaktion oft bestehen, selbst wenn die eigentliche Gefahr längst vorüber ist. Manche Menschen geraten sogar in einen "Freeze"-Zustand, bei dem sie sich handlungsunfähig fühlen.
Die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges erklärt, dass das Nervensystem nach einem Trauma Schwierigkeiten hat, zwischen realen und eingebildeten Gefahren zu unterscheiden, was zu Hypervigilanz und Überreaktionen führt.
Eine Person, die in ihrer Jugend Mobbing erlebt hat, könnte in sozialen Situationen "einfrieren" oder extrem nervös werden, weil ihr Nervensystem die Umgebung als unsicher einstuft.
Emotionale und psychische Folgen
Zu den häufigsten psychischen Folgen von Trauma gehören Angststörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Diese Zustände können das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen. Menschen mit PTBS haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, leiden unter Flashbacks oder sind emotional abgestumpft.
Laut einer Studie der World Health Organization (WHO) entwickeln bis zu 43% der Frauen und 28% der Männer nach einem Trauma PTBS-Symptome.
Eine Person mit PTBS könnte Orte oder Situationen vermeiden, die sie an das traumatische Erlebnis erinnern. Jemand, der einen Überfall erlebt hat, könnte sich weigern, abends allein spazieren zu gehen, obwohl die Umgebung sicher ist.
Körperliche Auswirkungen von Trauma
Trauma hat nicht nur psychische, sondern auch körperliche Auswirkungen. Viele Betroffene leiden unter chronischen Schmerzen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Problemen. Diese somatischen Beschwerden entstehen oft durch die anhaltende Aktivierung des Stresssystems.
Eine Studie der Harvard Medical School zeigt, dass Menschen mit Traumata ein erhöhtes Risiko für chronische Gesundheitsprobleme haben, da ihr Körper ständig in Alarmbereitschaft ist.
Jemand, der unter traumatischem Stress leidet, könnte häufig unter Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen leiden, ohne dass eine medizinische Ursache gefunden wird.
Vermeidungsverhalten im Alltag
Ein weiteres Merkmal von Traumafolgen ist das Vermeidungsverhalten. Betroffene meiden bewusst Situationen, Orte oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma auslösen könnten. Das Problem: Dieses Verhalten verstärkt oft die Symptome, weil die traumatischen Erinnerungen nicht verarbeitet werden.
Die Forschung von Ehlers und Clark (2000) zeigt, dass Vermeidungsverhalten häufig dazu führt, dass PTBS-Symptome länger anhalten und sich verschlimmern.
Jemand, der nach einem Überfall Angst vor Menschenmengen entwickelt hat, meidet es, einkaufen zu gehen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, was zu sozialer Isolation führen kann.
Trauma und Beziehungen
Trauma beeinträchtigt oft die Fähigkeit, gesunde Beziehungen aufzubauen. Viele Menschen entwickeln Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, oder haben Angst vor emotionaler Nähe. Dies kann dazu führen, dass sie sich emotional distanzieren oder in Beziehungen übermäßig klammern.
Die Bindungstheorie von John Bowlby zeigt, dass Menschen, die in ihrer Kindheit traumatische Erlebnisse hatten, oft unsicher gebunden sind und Schwierigkeiten haben, stabile Beziehungen zu führen.
Jemand, der in einer toxischen Beziehung emotional missbraucht wurde, könnte in neuen Beziehungen extrem misstrauisch sein oder ständige Bestätigung von seinem Partner fordern.
Wie wir im Alltag von Trauma geprägt werden können
Trauma beeinflusst die Art und Weise, wie wir mit Stress umgehen, Entscheidungen treffen und unsere Umgebung wahrnehmen. Oft führen Betroffene ihr Verhalten auf äußere Umstände zurück, obwohl es durch vergangene Traumata geprägt ist.
- Überreaktionen auf alltägliche Reize: Menschen mit Trauma reagieren oft übermäßig auf harmlose Stressoren.
- Kontrollzwang und Überwachsamkeit: Das ständige Bedürfnis, alles unter Kontrolle zu haben, kann den Alltag erschweren und zu Erschöpfung führen.
- Schlafstörungen und Albträume: Viele Betroffene leiden unter Schlafproblemen, die ihre Leistungsfähigkeit im Alltag beeinträchtigen.
Wie Trauma behandelt werden kann
Die gute Nachricht: Trauma ist behandelbar. Therapeutische Ansätze wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und systemische Therapie haben sich als besonders wirksam erwiesen, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Durch gezielte Therapie können Menschen lernen, ihre traumatischen Erinnerungen zu bewältigen und im Alltag wieder mehr Kontrolle zu erlangen.
Meta-Analysen zeigen, dass EMDR eine der effektivsten Behandlungen für PTBS ist, da sie es ermöglicht, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten, ohne emotional überflutet zu werden.
In einer EMDR-Therapie könnte jemand, der unter Flashbacks leidet, lernen, diese zu kontrollieren und zu reduzieren, indem er sie in einem sicheren therapeutischen Rahmen wiedererlebt.
Trauma hat tiefgreifende Auswirkungen auf das tägliche Leben, doch es gibt Wege, diese zu verstehen und zu bewältigen. Betroffene sollten sich nicht scheuen, Unterstützung zu suchen – sei es durch Therapie oder durch einfache Selbstfürsorgestrategien. Traumatische Erlebnisse müssen das Leben nicht dominieren, und es ist möglich, ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle zurückzugewinnen.
Quellen
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van der Kolk, B. A. (2014). Verkörperter Schrecken: Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann. Kösel-Verlag.
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Porges, S. W. (2010). Die Polyvagal-Theorie: Neurophysiologische Grundlagen der Therapie. Junfermann Verlag.
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Ehlers, A., & Clark, D. M. (2000). Ein kognitives Modell der posttraumatischen Belastungsstörung. Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin, 38(4), 319-345. https://doi.org/10.1016/S0005-7967(99)00123-0
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World Health Organization. (2013). Leitlinien für das Management von stressbedingten Erkrankungen. World Health Organization. https://www.who.int/publications/i/item/9789241505406
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Bowlby, J. (1988). Eine sichere Basis: Eltern-Kind-Bindung und gesunde menschliche Entwicklung. Klett-Cotta.
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Kabat-Zinn, J. (1990). Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. Knaur MensSana.