Traumatherapie: Was passiert eigentlich während einer EMDR-Sitzung?
Vielleicht hast du schon einmal von EMDR gehört – einer Methode, die häufig in der Traumatherapie eingesetzt wird. Die Abkürzung steht für *Eye Movement Desensitization and Reprocessing*, also auf Deutsch etwa „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen“. Aber was genau passiert dabei? Und warum kann diese Methode so wirkungsvoll sein, um traumatische Erinnerungen zu verarbeiten?

Warum EMDR in der Traumatherapie?
Traumatische Erlebnisse können wie eingefrorene Fragmente in unserem Gedächtnis feststecken. Diese unverarbeiteten Erinnerungen bleiben oft mit intensiven Emotionen wie Angst, Schuld oder Scham verknüpft. Sie können in der Gegenwart immer wieder in Form von Flashbacks, Albträumen oder starken körperlichen Reaktionen auftauchen – so, als ob das Ereignis gerade erst passiert wäre.
Das Besondere an EMDR ist, dass es dem Gehirn hilft, diese eingefrorenen Erinnerungen zu „verarbeiten“. Ziel ist es, die emotionale Ladung einer Erinnerung zu verringern, sodass sie sich weniger belastend anfühlt und als Teil der Vergangenheit abgespeichert werden kann.
Der Ablauf einer EMDR-Sitzung: Schritt für Schritt
Damit du dir vorstellen kannst, wie EMDR funktioniert, gehen wir die einzelnen Phasen einer Sitzung durch. Jeder Therapeutin gestaltet diese individuell, aber die grundlegenden Schritte sind immer ähnlich:
1. Vorbereitung: Eine sichere Basis schaffen
Bevor es an die eigentliche Arbeit geht, nimmt sich dein:e Therapeut:in Zeit, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Denn gerade in der Traumatherapie ist es essenziell, dass du dich sicher fühlst. Ihr sprecht darüber, wie EMDR funktioniert, und entwickelt gemeinsam Strategien, die dir in schwierigen Momenten helfen können – wie etwa den „sicheren Ort“.
Der sichere Ort ist eine Imaginationsübung, die beruhigend wirkt. Das kann zum Beispiel ein Strand, ein Wald oder ein Ort aus deiner Kindheit sein. Diese Übung gibt dir ein Werkzeug an die Hand, um während oder nach der Sitzung mit aufkommenden Gefühlen umzugehen.
2. Ziel definieren: Welches Thema möchtest du bearbeiten?
Der nächste Schritt ist die Auswahl eines belastenden Themas oder einer konkreten Erinnerung, die in der Sitzung bearbeitet werden soll. Es kann hilfreich sein, wenn du eine bestimmte Situation oder ein Bild vor Augen hast – aber keine Sorge, du musst nicht jedes Detail erzählen. Oft genügt es, die Emotionen oder Körperempfindungen zu benennen, die mit der Erinnerung verbunden sind.
Dein:e Therapeut:in wird dich auch fragen, welche Gedanken du in Bezug auf die Erinnerung hast. Zum Beispiel: „Ich bin schuld daran“ oder „Ich bin nicht sicher“. Diese sogenannten negativen Kognitionen spielen eine wichtige Rolle im EMDR-Prozess, weil sie oft durch das Trauma entstanden sind.
3. Bilaterale Stimulation: Der Kern von EMDR
Jetzt beginnt die eigentliche EMDR-Technik. Während du dich auf die belastende Erinnerung und die damit verbundenen Gefühle konzentrierst, führt dein:e Therapeut:in dich durch die bilaterale Stimulation.
Dabei werden abwechselnd beide Gehirnhälften aktiviert – das kann auf unterschiedliche Weise geschehen:
- Augenbewegungen: Du folgst mit den Augen den Fingern deines:r Therapeut:in, die sich von Seite zu Seite bewegen.
- Töne: Abwechselnde Signale, die du über Kopfhörer hörst.
- Berührungen: Zum Beispiel ein leichtes Klopfen auf deine Hände oder Schultern.
Diese bilaterale Stimulation erinnert an die Prozesse im REM-Schlaf, bei denen das Gehirn Erlebnisse verarbeitet. Sie hilft, die Erinnerung zu „entkoppeln“, sodass sie weniger überwältigend wirkt.
4. Verarbeitung in Wellen: Was passiert währenddessen?
Während der Stimulation werden Gedanken, Bilder oder Gefühle in dir auftauchen. Das ist ein natürlicher Teil des Prozesses. Dein:e Therapeut:in wird dich zwischendurch fragen: „Was kommt Ihnen gerade in den Sinn?“ Du musst nicht viel erklären – ein einzelnes Wort oder ein kurzer Satz reicht oft aus.
Manchmal tauchen neue Erinnerungen oder Emotionen auf, die vorher unterdrückt waren. Andere erleben es eher wie einen inneren Aufräumprozess: Die belastende Erinnerung wird klarer, aber gleichzeitig weniger schmerzhaft.
Dieser Schritt wird so lange wiederholt, bis die Emotionen spürbar abnehmen und du das Gefühl hast, mehr Distanz zu der Erinnerung zu gewinnen.
5. Positive Gedanken verankern
Ein wichtiger Abschluss ist die Verankerung positiver Gedanken. Nachdem die emotionale Ladung der Erinnerung reduziert wurde, arbeitet dein:e Therapeut:in mit dir daran, eine neue, stärkende Überzeugung zu entwickeln. Zum Beispiel: „Ich bin sicher.“ oder „Ich habe die Kontrolle.“ Diese positiven Kognitionen werden ebenfalls mithilfe der bilateralen Stimulation verstärkt, damit sie sich tief verankern.
6. Nachbesprechung und Selbstfürsorge
Nach der Sitzung gibt es Zeit, alles zu reflektieren. Vielleicht fühlst du dich erleichtert, vielleicht bist du auch müde – beides ist völlig normal.
Dein:e Therapeut:in gibt dir Tipps, wie du in den kommenden Tagen mit aufkommenden Gedanken oder Gefühlen umgehen kannst. Oft hilft es, sich mehr Ruhe zu gönnen und Aktivitäten zu machen, die dich stärken.
Was fühlt man während einer EMDR-Sitzung?
Die Erfahrungen während EMDR sind sehr individuell. Manche beschreiben intensive Emotionen, die plötzlich auftauchen, andere haben eher das Gefühl, wie ein stiller Beobachter ihrer Erinnerung zu sein. Es ist völlig normal, wenn du zwischendurch verwirrt oder überwältigt bist – dein:e Therapeut:in wird dich während der gesamten Zeit begleiten.
Am Ende berichten viele, dass die belastende Erinnerung an Bedeutung verloren hat. Sie fühlt sich mehr wie ein Teil der Vergangenheit an, ohne die gleichen intensiven Gefühle auszulösen.
Für wen ist EMDR geeignet?
EMDR wurde ursprünglich für die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) entwickelt, wird aber heute auch bei Ängsten, Depressionen oder belastenden Erinnerungen eingesetzt. Ob EMDR für dich geeignet ist, hängt von deinem persönlichen Zustand und deinen Zielen ab. Sprich dazu am besten mit einem:r erfahrenen Therapeut:in.
Ein letzter Gedanke: Besserung ist möglich
Trauma zu bearbeiten ist ein mutiger Schritt – und EMDR kann dir dabei helfen, alte Wunden zu heilen.
Wichtig ist, geduldig mit dir selbst zu sein. Heilung ist kein linearer Prozess, sondern ein Weg, den du in deinem Tempo gehen darfst.
Hast du Fragen zu EMDR oder möchtest du deine Gedanken teilen? Schreib mir gerne eine Mail oder nutze das Kontaktformular