Systemische Therapie - Ein ganzheitlicher Behandlungsansatz
Die systemische Therapie bietet einen umfassenden Ansatz zur Behandlung psychischer Störungen, indem sie das gesamte System und die sozialen Beziehungen der Patient:innen betrachtet. Erfahre mehr über die Methoden und die Wirksamkeit dieser Therapieform, die seit 2020 auch von den gesetzlichen Krankenkassen für Erwachsene anerkannt ist.
Was ist systemische Therapie?
Die systemische Arbeit basiert auf modernen Konzepten der Systemtheorie, die in vielen Bereichen wie Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften angewendet werden.
Diese Ansätze helfen, komplexe Phänomene des menschlichen Lebens und Zusammenlebens zu verstehen und passende Methoden zur Behandlung zu entwickeln.
Dabei wird der Mensch sowohl als biologisches als auch als soziales Wesen betrachtet.
Ursprung und Entwicklung
Die systemische Therapie entstand in den 1950er Jahren in den USA und kam etwa zehn Jahre später nach Europa, vor allem nach Deutschland und Italien.
Sie entwickelte sich aus der Erkenntnis, dass auffälliges Verhalten nicht nur Ausdruck seelischer Konflikte ist, sondern auch eine Reaktion auf Umweltbedingungen.
Zu den bekannten Wegbereitern gehören Paul Watzlawick und Virginia Satir in den USA sowie Horst-Eberhard Richter und Helm Stierlin in Deutschland.
2008 wurde die systemische Therapie in Deutschland vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie anerkannt.
Seit dem 1. Juli 2020 gehört die systemische Therapie zu den vier Psychotherapien, die über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden können.
Allerdings ist sie derzeit nur für Erwachsene zugelassen; eine Entscheidung für Kinder und Jugendliche steht noch aus.
Besonderheiten der systemischen Therapie
Die systemische Therapie unterscheidet sich von anderen Therapieformen durch ihren Fokus auf das gesamte System und die Interaktionen der Mitglieder.
Soziale Beziehungen spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen.
Ziel der Therapie ist es, bestehende Verhaltensweisen, Muster und Bewertungen zu hinterfragen, umzuwandeln und neue (systemfördernde) Lösungsansätze zu entwickeln.
Ein weiterer Unterschied ist der lösungsorientierte Ansatz der systemischen Therapie. Probleme werden nicht als Störungen einzelner Personen gesehen, sondern als Ausdruck der Interaktion innerhalb des Systems. Dies umfasst auch Arbeitswelt und andere soziale Beziehungssysteme.
Übersetzt bedeutet das, dass nicht nur auf den/die Patient:in geguckt wird, sondern auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Zusammenhang mit den Schwierigkeiten und Handlungen der Patient:innen.
Angewandte Methoden
In der systemischen Therapie gibt es verschiedene Methoden, die dir helfen können. Hier sind Beispiele für ein paar der gängigsten Methoden:
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Genogramm: Eine grafische Darstellung der Verhältnisse innerhalb eines Systems, um Muster und Zusammenhänge besser zu erkennen. Ähnlich wie ein Stammbaum wird hierbei die Familiengeschichte und Herkunft angeschaut. Während der Genogrammarbeit können immer wieder neue Aspekte und Perspektiven beachtet werden. So zum Beispiel der Zusammenhang von historischem Kontext und heutigen Auswirkungen auf uns, oder auch die Verteilung von verschiedenen psychischen Erkrankungen im Familiensystem.
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Aufstellungen: Hierbei werden Beziehungen innerhalb eines Systems visualisiert, indem Mitglieder der Gruppe angeordnet werden, um deren Dynamik darzustellen. Dies kann entweder im Raum mit echten Menschen passieren oder auf dem Systembrett mit Figuren.
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Zirkuläre Fragen: Fragen, die dich zum Perspektivwechsel anregen und helfen, Situationen aus der Sicht anderer Personen innerhalb des Systems zu betrachten. Wer meinen Daily Check in auf Instagram kennt, der hat mittlerweile schon einige zirkuläre Fragen gesehen.
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Reframing: Dabei wird die Bedeutung einer Situation oder eines Verhaltens verändert, um neue Sichtweisen und Lösungen zu finden. Hierbei findet sozusagen eine Übersetzungsarbeit statt. Statt vermeintlichem „Gemecker“ von Eltern, wird das Verhalten in einem neuen Kontext angeschaut und als „Ausdruck der Sorge“ übersetzt.
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Auftragsklärung: Klärung der Erwartungen und Ziele der Therapie, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Besonders daran ist, dass der Auftrag immer wieder angepasst wird und an den aktuellen Bedarf der Patient:innen angepasst wird.
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Hypothesenbildung: Gemeinsames Entwickeln von Annahmen über mögliche Ursachen und Zusammenhänge von Problemen, um neue Lösungsansätze zu finden. Sprechen wir von Hypothesen und nicht von Wahrheiten, lassen sich bestimmte Gedanken leichter besprechen, ohne sich direkt von ihnen bedroht zu fühlen.
Wirksamkeit und Anwendungsbereiche
Die systemische Therapie hat sich international als effektive und kostengünstige Psychotherapie etabliert. Ihre Wirksamkeit ist besonders gut belegt bei einer Vielzahl von psychischen Störungen:
- Störungen des Sozialverhaltens: Besonders bei Kindern und Jugendlichen zeigt die systemische Therapie hervorragende Ergebnisse. Die Einbeziehung der Familie oder anderer Bezugspersonen hilft, Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern.
- Essstörungen: Durch die Arbeit mit dem gesamten sozialen Umfeld können zugrunde liegende familiäre oder soziale Probleme aufgedeckt und angegangen werden.
- Depressionen: Die Therapie zielt darauf ab, depressive Muster in den Beziehungen und im Umfeld der betroffenen Person zu verändern.
- Substanzstörungen: Systemische Ansätze können helfen, die Dynamiken im Umfeld der betroffenen Person zu verändern, was zur Reduktion des Substanzmissbrauchs beitragen kann.
- Schizophrenie: Studien zeigen, dass die Einbeziehung des sozialen Umfelds die langfristigen Behandlungsergebnisse verbessert.
- Angststörungen: Durch die Einbeziehung des sozialen Umfelds können die Auslöser und Verstärker von Ängsten erkannt und gemeinsam bearbeitet werden.
- Traumafolgestörungen: Systemische Therapie hilft, die Auswirkungen von Traumata im sozialen Kontext zu verstehen und zu verarbeiten, was die Heilung fördert.
- ADHS: Durch die Arbeit mit dem gesamten Umfeld der betroffenen Person können Strategien entwickelt werden, die die Herausforderungen des Alltags besser bewältigbar machen.
Studien belegen, dass die systemische Therapie eine hohe Zufriedenheit bei den Patient:innen erzielt. Besonders bemerkenswert sind die positiven Langzeiteffekte:
Auch Jahre nach Abschluss der Therapie zeigen sich oft nachhaltige Verbesserungen.
Die systemische Therapie kann sowohl in Einzel- als auch in Gruppensitzungen durchgeführt werden. Besonders effektiv ist sie, wenn das gesamte Beziehungssystem in die Therapie einbezogen wird.
Unterschiede zu anderen Therapieformen
Die systemische Therapie unterscheidet sich in mehreren wichtigen Punkten von anderen Therapieformen:
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Fokus auf das System: Während viele andere Therapieformen den Fokus auf das Individuum legen, betrachtet die systemische Therapie das gesamte System und die Interaktionen der Mitglieder.
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Soziale Beziehungen und deren Einfluss auf die psychische Gesundheit stehen im Mittelpunkt.
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Lösungsorientierter Ansatz: Anstatt sich auf die Probleme oder Störungen einzelner Personen zu konzentrieren, zielt die systemische Therapie darauf ab, Lösungen zu finden und positive Veränderungen im gesamten System herbeizuführen.
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Einbeziehung des sozialen Umfelds: In der systemischen Therapie werden häufig Familienmitglieder oder andere wichtige Bezugspersonen in den therapeutischen Prozess einbezogen.
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Das hilft, systemische Muster zu erkennen und gemeinsam an Veränderungen zu arbeiten.
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Keine Pathologisierung: Systemische Therapie sieht soziale oder psychische Auffälligkeiten nicht primär als "Krankheit", sondern als Reaktion auf Probleme oder Anforderungen im sozialen Kontext.
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Dies fördert eine weniger stigmatisierende Sichtweise.
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Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Die systemische Therapie ist flexibel und kann je nach Bedarf verschiedene Methoden und Techniken einbeziehen, wie Genogramme, Familienaufstellungen oder zirkuläre Fragen. Sie lässt sich gut mit anderen Therapieformen kombinieren, um einen ganzheitlichen Behandlungsansatz zu gewährleisten.
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Rolle der Therapeut:innen: In der systemischen Therapie nehmen Therapeut:innen eine beratende und unterstützende Rolle ein. Sie geben keine direkten Lösungen vor, sondern helfen den Beteiligten, eigene Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
Fazit
Die systemische Therapie bietet einen umfassenden und integrativen Ansatz zur Behandlung psychischer Störungen. Durch die Einbeziehung des sozialen Umfelds und die Nutzung verschiedener Methoden werden die Dynamiken innerhalb von Systemen analysiert und bearbeitet, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Die Anerkennung als Kassenleistung unterstreicht die wissenschaftliche Fundierung und Wirksamkeit dieser Therapieform.